Goethe und die Umwelt

Wir radeln durch die wunderschöne Landschaft der Toskana. Man muss sich vorstellen, dass dies nicht immer mühelos gelingt, weil es sehr hügelig ist. Es dauert Stunden, bis man z.B. in Siena ist. 

Irgendwann geht das Treten in Meditation über. Ich sinniere über die großen Künstler, die in der Toskana oder in Umbrien gelebt und gewirkt haben. Da war zum Beispiel Leonardo da Vinci oder Michelangelo. In der damaligen Zeit war Fortbewegung und Reisen total anders. Es gab keine Fahrräder, Autos oder gar Flugzeuge. Wenn man, wie Michelangelo am Fuße des Berges la Verna aufgewachsen war, in das 90 Kilometer entfernte Florenz reisen wollte, war dies eine Reise von mindestens drei Tagen. Auch wenn man die Strecke zu Pferde bewältigte, kam man nicht wesentlich schneller voran. 

Also nehmen wir an, Michelangelo reiste zu Fuß. Er durchschritt die Landschaft, er übernachtete in Herbergen auf seinem Weg und erlebte so allerhand auf seiner Reise. Da die Reise beschwerlich war, ging er nach verrichtetem Zwecke nicht gleich wieder nach Hause, sondern blieb sicher eine Weile in Florenz. Das Reisen in andere Gegenden musste so intensiv gewesen sein, weil alle Sinneseindrücke (positive wie negative) durch die manuelle Fortbewegung tiefer in die Menschen eindrangen. Ich bin fest überzeugt, Michelangelo und auch seine Schüler wären nie so große Maler und Bildhauer geworden, hätten sie ein Auto zur Verfügung gehabt. Man hat damit einfach nicht die Zeit, Details zu studieren, die sich in der Landschaft ergeben, die menschliche Anatomie, die Gerüche der Natur, das Erleben…

Goethe hat 1786  auf seiner Reise nach Italien, die zwei Jahre andauerte! einen Reisebericht verfasst. Ich wage die These, dass solch ein Werk nie entstanden wäre, hätte er ein Auto gehabt, das mit 130 km/h binnen weniger Stunden nach Sizilien brausen kann.

Der Punkt ist, dass solche gigantischen Künstler früherer Zeiten durch die Schnelllebigkeit der heutigen Epoche natürlicherweise nicht mehr entstehen können.

Ich habe einmal aufgeschnappt, dass das Leben mit dem Auto oder auch Flieger so abläuft: man fährt von Insel zu Insel, dazwischen ist Wüste, das Nichts. Wir erleben unsere Erde, unsere Landschaft nur noch in unzusammenhängenden Partien. Darum gibt es Monokultur, Massentierhaltung, Betonwüsten, Naturentstellungen, Tierquälereien. Wir sehen die „Wüste“ einfach nicht, können sie nicht sehen, wollen auch gar nicht hinschauen. Lieber betrachten wir die Museen mit Bildern von Künstlern und trinken Aperol auf gepflegten Terazzas.

Die Pandemie hat vielleicht so manchem die Augen über seine nähere Umgebung geöffnet, wenn er durch monotone Plantagen spazieren gehen musste, durch Gewächshausstädte, Folienäcker, kilometerlangen Bäumen unter Netzen, Flüsse in Betonbecken. Vielleicht…

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