Mitgefühl und Mitleid

Gestern morgen wartete ich vor dem Supermarkt, bis Toni Wasser besorgte. Derweilen beobachtete ich eine junge, ziemlich ausgemergelte schwarze Katze, die immer wieder in einem Loch im Haus mir gegenüber Unterschlupf suchte, wieder herauskam und miaute. Man sah ihr den Hunger an und das Leid, das sie plagte. Ich hatte keine Idee, ihr Leid zu lindern. Selbst wenn ich ihr eine Dose Katzenfutter kaufte, ich müsste ja wieder fort und morgen hätte sie das gleiche Leid. Während ich so darüber nachdachte, hockte sich eine Bettlerin mit einem Hocker und ihrem bisschen Hab und Gut an den Eingang des Supermarkts. Ein kleines dünnes Weiberl, schwer zu schätzen, vielleicht Ende 60, mit wenig Zähnen kaute an einem Baguette herum.

Sie war es, die der Mieze „half“, warf sie doch dem Kätzchen den letzten Brocken ihres Baguettes hin, worauf diese es mit großen Augen in ihr Loch zog und verschlang. Ich dachte mir, jetzt hat die Alte eh schon so wenig, und ausgerechnet sie hat mit dem Kätzchen Mitgefühl! Da bekam ich Mitgefühl mit beiden und gab der Bettlerin Geld.

Szenenwechsel: Wir fahren seit zwei Tagen durch die endlose Welt der Olivenplantagen. Selbst in Andalusien hört dieses, in Reihen gepflanzte, industrialisierte Endlosolivenbaumsortiment nicht auf. In Italien oder in Griechenland ist ein Olivenbaum ja fast schon was Heiliges. Hier stehen teilweise Jahrhunderte alte Olivenbäume und ich glaube nicht, dass diese hier als heilig wahrgenommen werden. Ich stelle mir vor, wie die Maschinen durch die Heine fahren und die Oliven von den Bäumen reißen, damit ich sie, in Gläsern verpackt oder als Öl gepresst, essen kann. Ich habe wirklich Mitleid mit diesen Kreaturen und weiß jetzt endlich, woher die spanische Olive stammt, die ich im Supermarkt kaufe. Ob mir das gefällt, weiß ich allerdings nicht mehr so genau…

(Hinweis: das Bild das ich poste, ist kein Olivenbaum und kein Olivenhain)

Nachtrag zum Beitrag „Mitgefühl und Mitleid“

Mein Mitleid mit den Olivenbäumen hat sich etwas niviliert. Wir sprachen mit den Einheimischen dieser Stadt. Einer von ihnen arbeitete auf Ibiza, er sprach ein wenig deutsch. Er meinte, dass die Arbeitslosigkeit speziell bei den jungen Leuten ein echtes Problem sei. Alle Gelder würden gekürzt und die Häuslebauer, junge Familien, könnten die Schulden nicht bezahlen.

Toni meinte, naja, aber die Oliven würden doch Arbeit bringen. Ja, meinte er, aber dieses Jahr hätten sie zum Beispiel ganz wenige Oliven, denn die Sonne schien im April und Mai so heftig, dass die noch kleinen unreifen Oliven abgefallen seien.

Oh Mann, das finde ich dann wirklich hart. Wenn man von der „Natur“ gar abhängig ist und dann kein Geld verdienen kann, das ist bitter. Ich glaube, ich kaufe weiterhin spanische Oliven und habe nicht mehr ganz so viel Mitleid mit den Bäumen…

Mein persönlich härtester Tag?

Nun ja, wir posten ja ständig, dass es sehr heiß ist und die Landschaft schrecklich öde. Ich fand heute die Steigungen am Nachmittag besonders mörderisch, obwohl wir schon klüger sind und eine Stunde früher aufstehen, um die Morgenkühle auszunutzen. Am Nachmittag waren es dann nur noch 20 Kilometer.

Ich denke dann immer, „oje, ist das hart, so hart wars noch nie, so heiß war mir noch nie, so anstrengend wars noch nie!“

Aber wenn ich abends dann erschöpft auf dem Bett lang gestreckt daliege und über die vergangenen Tage nachdenke, muss ich mir eingestehen, dass ich ständig gedacht hatte, dies sei mein härtester Tag gewesen. Einmal ist es heiß, dann Angst vor dem Regen (hatte ich seit Deutschland nicht mehr), einmal ist es steil, einmal viele Autos, einmal nervige Touristen, einmal kein Zimmer gefunden, einmal zu viele Kilometer…ich glaube, dieses Gefühl gehört zu meiner Radreise dazu, ständig zu denken: Heute war mein härtester Tag!

Tag der Überraschungen

Es ging morgens schon los, ich war wirklich überrascht, dass dieses, sonst bombenzuverlässige Garminngerät die Grätsche gemacht hat. Aber die Hitze in der Fronttasche hält auch das stärkste Gerät einfach nicht aus.

Dann war ich doch sehr überrascht, dass Toni sich nicht für diesen tollen Naturpark begeistern konnte, es waren wirklich herrliche Aussichten dabei. Stattdessen schlug er vor, die Bundesstraße zu heizen, damit wir die verlorene Zeit in Baena im Computerladen und beim Telefonhändler wieder einholen könnten. Das war mir dann doch zu blöd. Diesmal setzte ich mich durch und wir fuhren weiter auf der einsamen, aber kurvigen und hügeligen Panoramastraße, allerdings mit dem maulenden Toni.

Zum Glück! Denn dort fanden wir zu meiner Überraschung das stillgelegte und zum Radweg umfunktionierte Bahngleis. Also ich möchte fast behaupten, dass dies eines der schönsten Abschnitte der ganzen Tour gewesen ist. So romantisch und flach und ohne Kurven, leicht bergab, über schwindelerregende Brücken und tolle Steinschluchten ging es dahin.

Ja und die letzte Überraschung für heute war das letzte Stück Bundesstraße. Da fuhr kein Mensch, wie damals, als wir in Griechenland fuhren, zieht die neu erbaute Autobahn doch alle Fahrzeuge an.

Heute war die Hitze für mich erträglicher, allerdings wird es zum Abend hin immer heißer statt kühler. Um 17 Uhr war es schier unerträglich. Das hat mich nun dann nicht mehr überrascht, das kenne ich ja schon!

Niemals aufhören zu denken

Seit Tagen beschäftigt mich das Thema schon: Europa. Wir erleben hier auf dem Lande und in nicht touristischen Städten total freundlich gestimmte Spanier. Ein Rennradfahrer rief vorgestern lauthals zu uns hin: „Viva Merkel, viva, viva!“. Ein Hotelangestellter meinte einmal zu Tonis präzisen Fragen: Das sei es, warum uns Deutschen Europa „gehöre“ und wir seien die Nummer Eins. Ein Spanier mit ein bisschen Deutsch erklärte uns, das wir es doch gut hätten in Deutschland. Wir hätten Arbeit ohne Ende. Sie fänden nicht mal welche. Im Fernsehen flimmern Angie und Westi schier minütlich vor unseren Augen vorbei und schütteln unermüdlich spanische Hände.

Wir zwei Radler stehen da, als retteten wir persönlich Spanien. Erstmal finde ich es natürlich schmeichelhafter als vor zwei Jahren bei den Griechen vorbeizuradeln, die nichts als dumme Bemerkungen und arrogante Sprüche für uns übrig hatten. Auf der anderen Seite sind ja nicht wir persönlich es, die sie „retten“. Sie und andre haben ja auch in den Topf bezahlt. Das positive Bild, das wir durch unser Deutschsein abgegen, das erstaunt und beschäftigt mich.

Und führt mich zu dem Gedanken, dass die Starken immer die Schwächeren unterstützen und das ist auch gut so. Wenn wir alle Europa leben wollen, dann ist das ein unerlässlicher Gedanke. Mir gefiele es nicht, dass dieses schöne Land in große Schwierigkeiten käme. Die „normalen“ Spanier, so denke ich, tun viel und strengen sich an, sind geschäftig und fleißig. Aber wie auch schon in einem Kommentar bemerkt: Sie haben hauptsächlich Landwirtschaft und Tourismus. Da steckt nicht so viel Potenzial drin, wie in Autos und Entwicklung. Und kann mal gut laufen und mal schlecht.

Des Deutschen Stärke ist das Denken (und Dichten). Das Wetter machts, dass wir über viele Dinge länger brüten können, bei dieser Hitze hier haut es jeden guten Gedanken aus der Hirnkurve.

Wir sollten, um weiter bestehen und gut bleiben zu können, an Bildung, Sprachen, Weiterbildung und Weiterentwicklung weiter festhalten. Die Türe offen lassen für Neues, Toleranz und Offenheit nicht nur theoretisch leben, mit großer Aufmerksamkeit die Vorgänge Europas und der Welt verfolgen und das Beste draus machen.

Und niemals aufhören, zu denken…

Die Sorgen von Morgen und die Leute von Heute

Das viele Adrenalin in meinem Blut von gestern hat mir eine schlaflose und sorgenreiche Nacht bereitet. Was war passiert? Bei unerhört starkem Gegenwind fuhren wir eine Straße hinab, ich musste mich voll konzentrieren, das Bike gerade zu halten. Wie auf deinem Segelschiff ging es hin und her. Plötzlich nahm ich eine krächzende Stimme hinter mir wahr, unaufhörlich palaverte da wer. Dann gab es einen Ruck an meinem Rad!

Ein alter Rennradfahrer meinte wohl, ich sei zu langsam und schob mich von hinten an! Unerhört, ich bekam einen Schock und schimpfte auf ihn ein, aber er ließ nicht ab, mich anzuschieben. Dann wäre er noch beinahe von seinem Rad vor mir hingefallen, vor lauter schieben und schreien. Dann fuhr er mit einem „Vamos“ von dannen. Also Leute gibt’s. Leider konnte ich Toni nicht mehr vor dem alten Knaben warnen, war er doch zu weit voraus. Auch ihn plärrte er wohl von hinten an, das Schieben ließ er aber bei ihm…

Danach kämpfte ich mit miesen Gedanken an Marokko, das noch dadurch verstärkt wurde, dass Edda von Tangier und ein Eisverkäufer vor dem Hafen in Spanien warnte. Solche und andere Sorgen plagten mich Nachts und heute morgen. Seit mittags geht’s besser. Wenn es jemand wagen sollte dass er mich beklaut, dann soll er es haben, es sind ja nur Dinge. Wenn er an mein Leben will, das wäre was anderes. Mental bin ich jedenfalls auf alles vorbereitet. Man wird mich schon nicht wegen einer Kamera oder ein paar Klamotten abmurksen. Oder wie sagte mein Schwager zum Abschied: Er ließe es sich nicht nehmen, uns noch einmal lebendig zu sehen…

Ich hoffe bloß, dass nichts von den entstandenen Vorurteilen und projizierten Ängsten der anderen Menschen in Marokko eintrifft und die Schauermärchen über Marokko auch nur Märchen sind und keine Wahrheiten. Auf dem Fahrrad kann man eben nicht so einfach davonbrausen. Manchmal wünschte ich mir einen Land Rover zur Überfahrt…

Aber heute ist erst mal heute. Und wir sind gerade in Ronda eingetroffen und schauen jetzt mal, was es hier Besonderes zu sehen gibt. Übrigens, sogar Michele Obama hat hier in Ronda 2010 vorbeigeschaut, wie Fotos an der Wand unseres Hotels belegen.

Hubert und Heidi

Du glaubst es nicht, was einem so alles passiert, wenn du einen Blog hast! Hubert und Heidi warteten schon auf der Brücke zur Altstadt von Ronda. Einfach so. Auf uns! Ohne Voranmeldung. Sie begrüßten uns sofort, denn sie kennen uns ja schon, solange wir unseren Blog haben, wir sie nicht. Aber es war so was von nett und angenehm, die Beiden zu treffen.

Sie zeigten uns die wunderbare Altstadt von Ronda und wir unterhielten uns, als würden wir uns schon ewig kennen. Ich finde es total schön und natürlich auch etwas verrückt, dass das Paar Lust hatte, uns aus der Virtualität heraus persönlich treffen zu wollen.

Danke Heidi und Hubert! Ihr seid richtig Klasse! Und vergesst nicht, was ich Euch über Selbständigkeit gesagt habe!

Gibraltar – Teilziel erreicht

Zugegeben: ich hatte keine Ahnung, wie Gibraltar aussieht. Ich habe die Stadt noch nie im Fernsehen gesehen, zumindest nicht bewusst, mich vorher nicht beschäftigt, allenfalls auf der Landkarte und, naja was soll ich sagen, ich bin beeindruckt! Beeindruckt von der Felsenformation, die herausragt aus dem Meer. Die Stadt ist weniger schön, die Menschen skurril schräg und ja, seltsam anders als die Spanier, Engländer in Spanien eben.

Beeindruckt bin ich auch, wie viele Menschen zu Fuß, mit dem Rad, mit dem Auto über diese Grenze wollen! Ein Gewusel. Dahinter der Flughafen, der wohl immer dann abgesperrt wird, wenn eine Maschine landen muss. Man fährt, läuft mitten über die Startbahn. Kurz, ich kann es nicht beschreiben, man muss es mit eigenen Augen gesehen haben! Ich habe im Moment viel Spaß, es ist ein tolles Gefühl, hier zu sein.

Toni hatte bei der Planung gesagt: „Lass uns nur bis Gibraltar fahren, reicht schon“. Damals wollte ich mehr. Jetzt sind wir hier und irgendwie fühlt es sich schon so an, wie wenn wir ein Teilziel erreicht hätten. Wenn wir jetzt aufhören würden, müssten wir uns überhaupt nicht schämen.

Ja, aber jetzt wollen wir es natürlich wissen, wir wollen rüber zu den Marokkanern, den Moslems, zu der bunten anderen Welt, da wo Gastfreundschaft vielleicht nicht darin endet, dass der Hotelportier das Schiffitcket nicht ausdrucken will, aus Angst vor Viren.

Wir haben Spaß am Neuen, wir sind neugierig auf den „bunten Schweif des Orients“. Wir wollen einfach mehr! Wir sind gespannt, was uns morgen erwartet und freuen uns, wenn ihr die letzte Etappe mit uns kommt! Hoffentlich klappt dort alles so wie bisher, wir können eine Internetkarte organisieren und live berichten!

Und vielleicht schaut ja auch meine älteste Schwester zu, Sabine, ich wünsch Dir nochmal alles erdenklich Gute zum Geburtstag!