Jedem seinen Pilgerweg

Natürlich mache ich mir den ganzen Tag Gedanken über diesen spanischen Pilgerweg. Eigentlich ist es kein Weg, die letzten 100 Kilometer hinein nach Santiago de Compostela ist eine einzige Pilgerpartymeile. Horden von verschieden und doch gleich aussehenden Pilgern spazieren mit krachenden Stöcken und lautem Gelaber in Richtung Stadt. Alle Cafés sind voll, alle Herbergen besetzt, abends schreien die Pilger in den Hotels herum, feiern Party. Und das an einem ganz normalen Montag. Viele wissen es besser, geben Tipps und Ratschläge, waren schon mehrmals hier und gehen wohl immer wieder diesen – gelinde gesagt – miesen Abschnitt des Weges (Teer, Schnellstraßen, hässliche Dörfer). Manchen sieht man an, dass sie wirklich weit gegangen sind, die meisten aber, so habe ich den Eindruck, lassen sich bis kurz vor das Ziel fahren, um so zu tun, als wären sie Pilger. Unsere Vorurteile haben sich auf das Schlimmste bestätigt, wenn nicht übertroffen.

Wenn man einen Vergleich ziehen mag, so ist es Mallorcas Ballermann. Alle sind da, alle gehören dazu, schön ist es nicht, aber ein kollektives Ziehen in eine Richtung haben beide gemeinsam.

Man ist nie alleine, immer versorgt, überall Bars, Hostels, Apotheken, ja sogar irgendwo im Busch steht einer und verkauft den Pilgern Wegzehrung (siehe Bild). Verlaufen kann man sich nicht, man orientiert sich an tausenden Pfeilen, Muscheln, Mitpilgern.
Irgendwie finde ich es abstoßend und dann auch wieder total interessant. Es ist nicht in, mit dem Wohnmobil an die Küste Südspaniens zu fahren – nein, sich verschwitzt mit einem viel zu schweren Pilgerrucksack auf einer Schnellstraße mit hunderten anderen zu bewegen, das scheint „Der Hit“ zu sein. Es wäre ja auch nichts dagegen einzuwenden, würde so ein Hauch von Demut aufkommen, Dankbarkeit, Frömmigkeit, irgendwas. Nein, hier ist es wichtig, wie weit man es pro Tag so schafft, ähnlich wie bei einem Marathon, wird auf die Uhr geschaut und dem anderen unter die Nase gerieben, was doch er für ein Schwächling sei.
Jedem das seine, unseres ist es nun wirklich nicht. Und es freut mich schon insgeheim, und so viel ist uns die letzten Tage klargeworden, dass „unser“ Franziskusweg in Italien immer ein Geheimtipp bleiben wird. Diese Art Pilger, die hier gehen, für die ist der Cammino di Francesco nichts. Die Einsamkeit, die wilde und stille Natur, die Berge, die kleinen Häuschen und die Bars, die mittags Siesta haben. Keine Apotheke, keine Mitpilger, keine lästigen Fahrradfahrer auf dem Weg. Ja, echt bescheiden ist der Franziskusweg und ihm würde es auch nicht stehen, wenn dieser „Massenpilgertourismus“ auf ihn einbräche. Allerdings glaube ich auch, dass so mancher, hier in Turnschuhen latschender Hippiepilger, sich hübsch die Zähne ausbeißen, und ganz schnell demütig vor so viel gewaltiger Natur, Einsamkeit und Schönheit würde.

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3 Gedanken zu „Jedem seinen Pilgerweg

  1. Was hast du für ein Problem mit dem „Pilgertourismus“? Ihr fahrt doch entlang dem Jakobsweg und nutzt diese Infrastruktur, die aufgrund der Pilgerströme entstanden ist – und die Einheimischen können durch ihr Engagement für die Touris gut davon leben! > Eine Win-Win-Situation!!!

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