Mittendrin und voll dabei

Mein neuer Reiseführer von Dumont 2012 schreibt über Larache folgendes: „Larache liegt in einer schönen Landschaft inmitten von Obstplantagen…Die Stadt hat eine sehenswerte Medina.“

Desweiteren hat er u. a. Hotelempfehlungen enthalten. Das beste Hotel am Platze, angeblich familientauglich, schaut aus, als ob eine Bombe darin eingeschlagen hätte. Es hat komplett geschlossen, das Eisentor ist zu. Es wird angeblich bis „Juni 2011“ renoviert sein, sagt eine verwitterte Tafel.

Von der Obstplantage habe ich beim Einfahren nichts gesehen, hier ist alles kahl drumherum. Der Reiseführer enhält ein Bild von Larache, sehr malerisch, die Promenade mit den Ruinen im Hintergrund und eine bedachte Arkade. Die Arkade steht noch, die Ruinen auch, aber die Beschattung ist weggerissen, Fetzen hängen noch da. Der Abgrund ist voller Müll, bis zum Badestrand, nur männliche Marokkaner baden dort. Die Medina ist mehr als schmutzig, sie ist eklig und stinkt. Mir ist permanent übel, zu essen gibt es ja eh nichts, zu trinken auch nicht. Mir vergeht das Sightseeing, zur Ruinenstadt will ich erst recht nicht mehr.

Am Fischerhafen streiten sich die aggressiven Männer, ein Gerangel, der riesige Fisch, um den offensichtlich gestritten wird, fällt platschend  auf den dreckigen Boden, die Polizei geht dazwischen, ein Tumult sondersgleichen.

Das verstehe ich alles nicht. Entweder der Reiseführer übertreibt maßlos oder die haben den Tourismus hier abgeschafft.

Omei, so habe ich es mir wirklich nicht erdacht. Zumal die Leute an der Küste vom Tourismus zwar leben wollen, aber den Touristen knallhart am Ramadan nichts zu essen oder zu trinken geben. Sie nehmen uns nicht mal wahr, was zu verstehen ist.

Manche sind bettelarm, Kleider in Fetzen, dürr und hungrig und stromern durch die Stadt. Hier kann man doch als Reisender nicht Kultur, Geschichte oder was weiß ich was genießen. Ich finde es nicht schön, all das Elend zu sehen, ich kann auch nicht darüber hinwegsehen, alles tut mir sehr leid. Bestimmt ist es als Radtourist auch anders als mit einer Reisegruppe, da wird man nur dorthin geführt, wo es halbwegs okay ist, und düst schnell wieder ab. Aber hier ist man mittendrin und voll dabei.

10 Gedanken zu „Mittendrin und voll dabei

  1. Das hört sich ja nicht gut an … Wie ich schon geschrieben hatte, habe ich den Norden auch sehr grün in Erinnerung mit den erwähnten Obst- und Gemüseplantagen.
    Das Elend ist leider überall in Marokko zu sehen. Menschen, die auf Müllhalden leben, Menschen, die aus Mülltonnen essen, stark verkrüppelte Menschen …
    Aber Marokko ist auch ein wunderschönes Land. Schaut mal eure Fotos an! Wenn ich die sehe, bekomme ich richtig Sehnsucht. Ich wünsche euch, dass ihr endlich auch die herzlichen, freundlichen, warmherzigen und hilfsbereiten Marokkaner trefft.
    Allerdings wäre ich auch sehr grantig, wenn ich den ganzen Tag nichts essen dürfte… Und ich wäre auch grantig, wenn ich den ganzen Tag Rad fahren müsste und dann nichts zu essen bekomme, wenn ich Hunger habe.
    Unfreundliche, ja sogar feindselige Leute sind uns in Safi auch begegnet. Dort gab es damals kaum Tourismus und wir waren die einzigen „Ungläubigen“ in dieser Stadt. Wir kamen uns vor wie Eindringlinge und wir wurden sogar mit Feuerwerkskörpern beschossen. Wir schauten, dass wir schnell wieder aus dieser Stadt herauskamen.
    Also, es kann nur noch besser werden – viiieeeelll Glück!!!!!

    Also Kopf hoch und viel Glück!!!!!!!

    • @Hannelore: Bilder sind eben nicht alles, sie geben ein anderes Bild, finde ich. Ein brennender Müllhaufen sieht auf einem Bild auch nicht annähernd so aus, wie er wirklich ist. Das Stinken fehlt und die Leute, die da gruscheln, sieht man auch nicht. Belebte Plätze sind auf dem Foto auch nicht so belebt und die Falten im Gesicht sind nicht so deutlich zu sehen, als ob man vor einem steht. Manchmal, ich weiß auch nicht, wie es dir geht, möchte ich auch lieber den Palast als den Müllhaufen daneben fotografieren. Das fotografische Auge blendet das aus, will es nicht fotografieren. Es kostet Überwindung und außerdem will man ja auch tolle Fotos in seinem Archiv ansehen und nicht das Leid und das Elend.
      Gut, das ist in dem Falle beides Marokko. Aber ein Bild ist nie die Wirklichkeit…

  2. Oh, das hört sich alles sehr traurig und deprimierend an!
    Halt Die Ohren steif und halte durch!
    Du weißt ja, es ist immer eine Frage des „Aushaltens“!
    Liebe Grüße aus dem sommerlichen Bayern!

  3. Es wird wohl nicht besser werden.Ich hatte den gleichen Eindruck von Marokko wie Ihr. Wir sind in diesem Land nur die Ungläubigen und als Devisenbringer geduldet.Als Frau wirst Du erst gar nicht wahrgenommen. Man muß es mal erlebt haben. Arme Leute gibt es in unserem Land ja auch. Aber hier brauch keiner hungern. Die Landschaft in Marokko ist ja wunderschön. Aber die Mentalität ist eben ganz anders. Ich Wünsche Euch trotzdem noch einen schönen Tag. Man muß die Dinge so nehmen wie sie momentan sind, dann geht das schon.

  4. Jetzt muss ich mich noch einmal melden zum „als Frau nicht wahrgenommen werden“, was Simone und Edda beklagten. Hier hilft es vielleicht, wenn man weiß, dass es sich in solchen Ländern nicht gehört, wenn ein Mann eine fremde Frau anspricht. Fremde Frauen sind einfach tabu. Deshalb sind sie auch verhüllt, dass sie kein fremder Mann sehen und wahrnehmen kann.
    Dieses nicht wahrnehmen ist also eine Form von Anstand.
    Hier gibt es eine Männerwelt und eine Frauenwelt. Die Männer verbringen ihre Zeit zusammen draußen, im Café oder am Strand und die Frauen sind ebenfalls zusammen zu Hause oder auch mal in einem Café oder sogar am Strand, aber immer getrennt.

    • @Hannelore: Komisch fühlt es sich an, dass es in der Türkei nicht so ist, damit komme ich hier nicht zurecht. Es liegt sicher daran, dass in der Türkei Religion und Politik getrennt ist, und der Atatürk die Türkei schon westlich gestaltet hat. Dadurch haben sie dort eindeutig mehr Lebensqualität und Zugang zur Bildung, ein unschätzbarer Wert. Somit wird eine Frau nicht nur wahrgenommen, sondern auch respektiert. Ich kann nur hoffen, dass das dort so bleibt, Tendenzen in die Gegenrichtung stellen wir leider fest. Religionsfreiheit in Marokko wäre ein Schritt in die richtige Richtung, es kann nicht angehen, dass so etwas „verordnet“ wird. Aber gut, ich bin zum Glück keine Marokkanerin geworden, muss es so hinnehmen. Mich hätten sie schon längst erhängt, glaube ich. Kann nur hoffen, nicht im nächsten Leben hier zu „landen“.

  5. Man muß die Gepflogenheiten anderer
    Länder akzeptieren, aber man muß sie nicht gut finden. Mich hat z.B.ein Marktverkäufer aufs gemeinste beschimpft, weil ich ein Foto von ihm und seiner wunderbaren Auslage machen wollte. Da ich ( wie ich zu meiner Schande gestehen muß) mich nicht mit allen Gepflogenheiten des Landes kundig gemacht hatte) weiß ich bis heute nicht, was daran falsch war.
    Es ist eben so andere Länder andere Sitten. Entweder man akzeptiert es , oder man fährt in Zukunft woanders hin.

    • @Edda: ich stimme dir zu, aber andererseits bin ich persönlich immer wieder froh, mal da vorbeigeschaut zu haben, wo es auch viele Vorurteile gibt. Von Marokko habe ich immer nur Schauermärchen vernommen. Diese kann man komplett vergessen. Andere könnte man erzählen, von Unfreiheit und Müll und Armut. Das wäre angebrachter, als diese armen Hunde der Gewalt zu bezichtigen. Man muss eben auch dort hingehen, wo keine Touristen sind, die Anmacher und „Reinzieher“ sind nicht repräsentativ. Wenn man mit dem Rad langsam am Elend vorbeifahren muss, dann weiß man, was Marokko eigentlich ist. Ronda ist auch nicht Andalusien. Das wäre gelogen.

  6. Einen Guten Morgen wünsch ich euch,

    @Simone

    auch in der Türkei gibt es sowas. Gerade gestern habe ich mich mit einem türkischen Kollegen unterhalten. Je weiter du ins Landesinnere fährst desto schlimmer wird es auch mit der Religion.
    Zu eurem Reiseführer Dumont, also ich würde von den Bildern die abgebildet sind, die gleichen machen und den Verlag schicken. Man muss sich nur vorstellen eine Familie reist tatsächlich mal dahin

    • @dimitri: nun, weißt du, ich weiß, dass es in Anatolien auch so sein könnte. Aber ich bin mir 100% sicher, dass mir ein Anatole nicht unfreundlich begegnen würde. Zu Marokko: wenn ich in extra touristisch ausgewiesene Gebiete fahre, speziell in den Städten, dann erwarte ich etwas anderes. Hier wird einem etwas versprochen, dass es einfach nicht gibt. Verständnis für den Touristen, freundliche Menschen, Infrastruktur. Aber man kann ja alles auf den Ramadan schieben, das wird schon so sein, dass dann, wenn er vorbei ist, alles anders ist. Das mit dem Dumont ist eine gute Idee!

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